— sexy curves  
    Gerald Nestler / Toni Kleinlercher
"Sozialmaschine Geld", O.K - Centrum für Gegenwartskunst
"Social Machine Money," O.K - Center for Contemporry Art
Linz, Austria, 1999 - 2000
"... der erste Eindruck, den man bekommt, ist vor allem "Sound", nämlich eine Live-Einspielung des Handels an einem der größten Börsenplätze, der Chicago Mercantile Exchange. Am Anfang wird der großteils abstrakte Begriff von Börse, mit dem die meisten eigentlich wenig anfangen können, auch wenn viele ein bißchen Aktien handeln, als akustisches Phänomen behandelt, das die Psychologie und den extrem emotionalen Gehalt und die enorme Aktivität dieses Systems, und damit seine Lebendigkeit, erlebbar macht. Außerdem finden wir das Geschehen auch einfach als "Musik", mit seinen Rhythmen, Pausen, Aufschwüngen, etc. interessant. Diese anfänglich als wirres Geschrei wahrgenommenen Sounds sind aber natürlich extrem wertvolle Information, man könnte sagen, sie sind pures Gold wert. Die Geldmenge, die da an einem Tag gehandelt wird, übersteigt wahrscheinlich das Budget kleiner Staaten. Da trifft dann harte Realität auf Virtualität, da einerseits Geschäft gemacht wird, andererseits auf diesem Gebiet, dem sogenannten Terminhandel, die Beträge erstens in ihrer gesamten Höhe völlig aus jedem vorstellbaren Bereich kippen und als Derivat ja eigentlich rein virtuell existieren.  

Man geht also durch diesen "Sound-korridor" die Stiege hinauf und sieht erst dann in die Installation: da sind dann vier Monitore, die fast am Boden stehen, darüber eine Laufleiste, über die Zahlen, mathemtische Gleichungen, ablaufen, die ohne zusätzliche Info zuerst mal gar nicht verständlich sind und im Hintergrund ein transparenter Industrievorhang, der den langgestreckten Raum zerschneidet und dahinter eine kabinenartige Situation schafft. Man sieht und geht dann also in den Raum und bekommt gleichzeitig mit, das eine andere Soundkomponente hörbar wird: wir haben ein Ultraschall-Herzkardiogramm machen lassen, das einerseits als Videoloop zu sehen ist und auch über Lautsprecher akustisch eingespielt wird: das klingt nicht wie ein gewöhnlichen Herzgeräusch, sondern man hört den hin-und herwogenden Blutfluß im Herzen. Und das ist, wie wir finden, ein extrem intensiver Klang, voller Dynamik. Und er steht natürlich auch für unser eigenes Leben, es sind ja unsere Herzen. Gleichzeitig kann er aber auch als Metapher für die Ökonomie, die Börse im spezifischen Fall verstanden werden, die ja auch eine Tag und Nacht durchgehende Dynamik des Geldflusses hat und bis in entlegene Regionen der Welt Wirkung zeigt, indem sie ihr System durchsetzt. Und genauso wie man ja den Blutkreislauf kaum wahrnimmt, erleben wir auch den Kreislauf der virtuellen Geldflüsse nicht bewußt. Erst wenn Probleme auftauchen, realisieren man, was da vorgeht. Wenn man mal als Beispiel die Welt auf der wir leben metaphorisch als Körper sieht, nehmen wir "Krankheiten" war. Und die sind nicht neoliberal marktstrategisch oder mathematisch, wissenschaftlich lösbar, sondern benötigen Strategien, die dieses System intensivst hinterfragen und kaum überall nach gleichem Schema F anwendbar sind, wie man z.B. in Russland gesehen hat.
Es geht uns natürlich nicht darum, das Weltwirtschaftssystem einfach mit einem biologischen Körper zu vergleichen, sondern in der Gegenüberstellung Tendenzen zu thematisieren, die mit einer Auflösung des Individuellen in ökonomischen Großsystemen zu tun haben:
diese Auflösung findet nun beispielhaft über die Lichtzeile statt. Die ist ja ein weit bekanntes Symbol für Börsengeschäfte, von Hollywood und TV gerne verwendet. Diesen "Ticker", der sonst im Durchlauf neue Handelswerte zeigt, verwenden wir symbolisch als Auflösung des Indivduellen in globalen Systemen, eine Art mathematische Dauerberechnung eines (sich verstärkenden) Equilibriums. Prof. Dorffner* vom KI-Institut der Uni Wien hat dafür ein Programm geschrieben, das, durch chaostheoretische Zusammenhänge, Ähnlichkeiten zwischen Börsenwerten und Kardiogrammen in eine Gleichung bringt, die, durch die Veränderungen in den Werten variierend, ständig über die Lichtzeile läuft.



Im hintersten Teil des Raumes, hinter dem Transparentvorhang, befindet sich eine Art Krankenraum, Zelle, das Feld des Individuums. Wenn man sich dort befindet, sieht man zwar raus, ist aber dennoch getrennt vom außen. Und dort steht ein einfaches Untersuchungsbett, wie man es aus jeder Arztpraxis kennt, es gibt ein Bücherbord mit Weltliteratur und ein EKG-Gerät, das mit einem der Monitore vorne verbunden ist. Die Auswahl der Bücher übernimmt eine Bücherei, die zwischendurch auch alles auswechseln wird. Wir wollten das, wie in der Wirtschaft üblich, an Spezialisten auslagern. An sich funktioniert das für uns so als Raum für sich. Es gibt aber die Einladung an die Besucher, sich zu beteiligen. Das heißt, es wird ihnen ihr EKG abgenommen, das sie dann ausgedruckt mit nach Hause nehmen können. Dieses EKG wird vorne als Kontrapunkt zum Börsenchart am Monitor ausgestrahlt, also ebenso als Live-Kurve. Währenddessen lesen sie eine Textstelle aus einem der Bücher vor (sie können natürlich auch einfach etwas sagen, das ihnen gerade durch den Kopf geht, etc.). Und auch den Text, den sie sprechen, hört man auf der "anderen Seite", aber in diesem Fall nur, wenn man ganz nah ran geht an den Vorhang, fast in Griffweite der Person steht. Man muß also metaphorisch durch die Geräusche, Ablenkungen, durch die ganze Kommunikation, etc. der Welt durch, um zum Menschen zu kommen. Erst in der Intimität funktioniert Verständigung.
Die Trennung bleibt aber bestehen ..."

*siehe Text von Prof. Dorffner im Katalog "Sozialmaschine Geld, Kunst.Positionen", O.K Linz, der zur Ausstellung erschienen ist.
Photos 1, 3, 4 courtesy Otto Saxinger, Linz